Boys don’t cry… – Echte Leader schon? Zeit für mehr Gefühl im Business.

Ich bin ein sehr emotionaler Mensch. Das habe ich grade erst wieder festgestellt, als meine Tochter kürzlich im Fahrschulauto an mir vorbeirollte und bei mir sofort die Tränen kullern wollten. Ihr plötzliches Erwachsensein hat mich schlicht überfahren.

Sowas passiert mir nicht nur als Mutter. Auch in meiner Rolle als Chefin wurde ich oft emotional: Bei Weihnachtsfeiern eine noch so kleine Rede über die Teamerfolge des zurückliegenden Jahres zu halten war herausfordernd. Genauso ging es mir bei Preisverleihungen und ähnlichen Anlässen, wenn ich eine geniale Idee oder ein tolles Unternehmen mit einer Laudatio würdigen durfte. Meine Emotionalität war mir dann immer unangenehm. Dabei ist sind solche Tränen doch nur Zeichen von Glück, Stolz und echter Wertschätzung. Trotzdem war bei mir viel zu lange verankert: Emotionen gehören nicht in den Job.

Was ist EQ, also der emotionale Intelligenzquotient?

“EQ, also Emotionale Intelligenz, ist die Fähigkeit einer Person, ihre eigenen Emotionen aber auch die anderer zu erkennen. Dabei geht es nicht nur darum, Emotionen zu identifizieren, sondern auch zu wissen, wie man sie steuert und einsetzt.”

Prof. Dr. Marjaana Gunkel

Emotionen sind im Business-Kontext häufig noch ein Tabu-Thema. Aber zum Glück verändert sich gerade einiges: Empathie, emotionale Intelligenz und psychologische Sicherheit werden immer mehr zu untrennbaren Werten und Kompetenzen in einer modernen Arbeitskultur. Emotionale Intelligenz ist dabei das entscheidende Stichwort.

Dass Emotionen im Business-Kontext trotzdem noch immer keine breite Akzeptanz finden, ist allgegenwärtig. Man stößt auf Tabuisierung emotionaler Themen - Mitarbeitende, die Emotionen zeigen, insbesondere negative wie Trauer, Angst oder Stress, werden als schwach oder unprofessionell angesehen. Das kann so weit gehen, dass Mitarbeitende Angst haben, ihre Gefühle oder Sorgen zu äußern, da sie befürchten, dass dies negative Konsequenzen für ihre Karriere haben könnte – psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz: Zu oft noch Fehlanzeige.

Welchen Raum sollten Emotionen und emotionale Intelligenz im Business also einnehmen? Darüber habe ich mich mit Prof. Dr. Marjaana Gunkel unterhalten.

Marjaana ist Professorin und Dekanin an der Freien Universität Bozen und beschäftigt sich unter anderem mit der Bedeutung von emotionaler Intelligenz in moderner Arbeitskultur. Lernt sie in diesem Video kennen!

Liebe Marjaana, könntest Du zunächst erklären, was emotionale Intelligenz - also EQ - ist und warum sie so wichtig ist?

Emotionale Intelligenz ist die Fähigkeit einer Person, ihre eigenen Emotionen, aber auch die anderer zu erkennen. Dabei geht es nicht nur darum, Emotionen zu identifizieren, sondern auch zu wissen, wie man sie steuert und einsetzt. Zum Beispiel wird eine emotional intelligente Person erkennen, wenn sie beispielsweise wütend ist. Und sie wird auch verstehen, dass sie aufgrund dieser negativen Emotion vielleicht gerade keine Entscheidungen treffen sollte. Sie wird auch erkennen, wenn sie in positiver Weise aufgeregt und glücklich ist. Das wiederum könnte ein guter Zeitpunkt sein, ein inspirierendes Meeting mit dem Team abzuhalten oder eine Aufgabe zu übernehmen, die durchaus anstrengend ist. Denn positiven Emotionen können die dafür notwendige Energie freisetzen.

Wie unterscheidet sich EQ von der traditionellen Vorstellung von Intelligenz, dem IQ?

Das moderne Verständnis von Intelligenz ist, dass es mehrere Intelligenzen gibt. Jeder Mensch hat im Grunde ein Portfolio verschiedener Intelligenzen. EQ ist eine soziale Intelligenz, während der IQ die kognitiven Fähigkeiten repräsentiert. Während EQ trainiert werden kann, ist der IQ schwieriger zu beeinflussen. Die gute Nachricht ist, dass sich verschiedene Arten von Intelligenzen gegenseitig kompensieren können. Das heißt, emotionale Intelligenz kann in manchen Zusammenhängen den IQ kompensieren.

Welche Rolle spielt emotionale Intelligenz im Berufsleben – gerade mit Blick auf die Arbeit von Führungskräften?

In den letzten Jahren hat sich die Rolle von Führungskräften stark verändert. Vor einigen Jahrzehnten galten Manager oder Chefs als Individuen, denen man nichts entgegensetzte. Ihre Meinungen und Wünsche galt es, zu akzeptieren.

Beim Führen von Organisationen und Teams haben Kommunikation und Gespräche heute viel mehr Bedeutung und nehmen wesentlich mehr Raum ein. Es geht darum, Mitarbeitende nach ihrer Meinung und ihrem Rat zu fragen. Daher ist die Fähigkeit, Emotionen zu erkennen, immer wichtiger geworden. Aber nicht nur das. Die Kontrolle der eigenen Emotionen ist für Manager eine unverzichtbare Fähigkeit. Führungskräfte, die ihre persönlichen negativen Emotionen nicht aus dem Geschäft heraushalten können, werden nicht mehr akzeptiert.

Eine Führungskraft, die erkennt, dass es einem Mitarbeitenden nicht gut geht, ist eine gute Führungskraft. Eine Führungskraft, der die Mitarbeitenden vertrauen können und die ein Gefühl der Sicherheit vermittelt, wird heute bevorzugt. Das Wohlbefinden der Mitarbeitenden ist zu einem wichtigen Thema für Organisationen geworden, und der EQ der Führungskraft kann dazu beitragen.

Man sagt, bemerkenswerte Führungskräfte motivieren nicht nur, sie inspirieren ihre Mitarbeitenden. Siehst du einen Zusammenhang in der Fähigkeit, andere zu inspirieren und EQ?

Eine Führungskraft, die Emotionen - auf positive Weise - einsetzt, ist inspirierend. Emotionen zu zeigen, ist typisch für charismatische Führungskräfte. Sie inspirieren andere, indem sie ihre Leidenschaft zeigen. Und Leidenschaft ist etwas, das sich durch Emotionen zeigt.

Sind emotional intelligente Menschen die besseren, vielleicht auch gelasseneren Führungskräfte?

Eine gute Frage. Ich glaube nicht, dass es darauf eine einfache Antwort gibt. Ist man entspannter, wenn man Emotionen erkennen kann? Nicht unbedingt.

Aber EQ kann hilfreich sein, um das Verhalten innerhalb einer Organisation zu verstehen. Wenn man die Emotionen anderer erfassen kann, versteht man, warum sie sich auf bestimmte Weise verhalten. So kann es insbesondere in schwierigen Situationen leichter sein, nachzuvollziehen, warum bestimmte Dinge aufgrund negativer Emotionen gesagt oder getan werden. Aber alles in allem würde ich sagen, dass EQ ein Schlüsselmerkmal einer effizienten Führungskraft ist.

Kann man emotionale Intelligenz erlernen oder trainieren?

Ja! Das sind die Good News. Emotionen zu erkennen und einzusetzen, kann man trainieren. Das braucht Zeit. Es braucht Übung und es ist wichtig, Feedback zu bekommen, wie man in emotionalen Situationen reagiert. Es gibt verschiedene Trainingsprogramme, die sich auf die Entwicklung emotionaler Intelligenz konzentrieren. Ich glaube aber, dass schon das achtsame Beobachten der eigenen Emotionen ein guter Anfang ist: Wie fühle ich mich? Was macht das Gefühl mit mir? Wie beeinflusst es mich und mein Handeln? Einfache Fragen an sich selbst können ein guter Startpunkt sein.

Welcher Mehrwert ergäbe sich für Unternehmen, wenn sie die emotionale Intelligenz ihrer Führungskräfte stärken würden?

Nun, ich glaube, dass emotional intelligente Führungskräfte wahrscheinlich zufriedenere Mitarbeiter haben. Wir sehen in der Forschung beispielsweise, dass emotionale Intelligenz zu positiveren Konfliktbewältigungsstrategien und einer besseren Identifikation mit dem Team führt. Der EQ eines Leaders spielt für viele teambezogene Ergebnisse eine bedeutende Rolle. Daher glaube ich, dass EQ auf die Ergebnisse in vielen Unternehmensbereichen einen signifikanten Einfluss haben könnte. Aber wie bei allem sind die Ergebnisse eines Führungskräftetrainings zur Steigerung von EQ nicht sofort sichtbar. Bevor die gesteigerte emotionale Intelligenz einer Führungskraft von anderen wahrgenommen wird und bevor sie wirklich in Aktion tritt, vergeht einige Zeit. Hier ist also Geduld erforderlich, ähnlich wie bei anderen Weiterbildungen und Trainings, die darauf abzielen, das Verhalten von Mitarbeitern in Organisationen zu ändern.

Was sind die größten Herausforderungen bei der Erforschung und Messung emotionaler Intelligenz?

Ein Problem ist, dass es sich bei den meisten EQ-Messinstrumenten um Selbsteinschätzungen handelt. Die Personen bewerten ihr eigenes Verhalten, was nicht immer ganz realistisch sein muss. Dennoch sind diese Instrumente validierte und in der Praxis leicht anzuwendende Tools.

Welche zukünftigen Forschungstrends siehst Du im Bereich von EQ? Womit wird sich die Wissenschaft noch am intensivsten beschäftigen?

Ich persönlich denke, dass die kompensatorischen Effekte von Intelligenzen ein spannendes Forschungsthema sind. Wann und wie kann emotionale Intelligenz den Mangel an anderen Intelligenzen kompensieren? Ich denke auch, dass solche Effekte für die Praxis von großem Interesse sind. Auch Fragen im Zusammenhang mit dem Training und der Stärkung emotionaler Intelligenz sind interessant. Die Wirksamkeit verschiedener Trainingsansätze und Methoden ist für mich beispielsweise eine genauere Betrachtung und Untersuchung wert.

Noch eine persönliche Frage: Du bist als Dekanin und an deinem Lehrstuhl selbst Führungskraft – wer oder was inspiriert dich in dieser Rolle?

Wer oder was mich inspiriert, ist eine schwierige Frage. Ich denke, was mich wirklich inspiriert, sind Ergebnisse. Aber auch der Weg zu bestimmten Ergebnissen - wenn man etwas zum Besseren verändern kann mit dem was man tut. Wenn man also einen echten Unterschied machen kann.

Es sind nicht immer die großen Erfolge, es können auch kleinere Dinge sein. Wenn mir zum Beispiel jemand sagt, dass ich ihm geholfen oder dass ich ihm einen hilfreichen Weg aufgezeigt habe, inspiriert mich das, weiterzumachen. Oder wenn mir jemand sagt, dass er mich als „Vorbild“ sieht.

Ich denke, was mich inspiriert und antreibt, ist die Wertschätzung dessen, was ich tue. Als Führungskraft merkt man jedoch, dass vieles von dem, was man macht, ungesehen bleibt. Aber wenn es dann jemand sieht und wertschätzt, ist das wirklich eine Inspiration, eine Motivation. Ich würde also sagen, dass die kleinen (oder großen) Erfolge, die sich positiv auf andere auswirken, meine Inspiration sind. Manchmal muss ich mich auch an diese Dinge erinnern – im hektischen Leben vergessen wir oft, die kleinen Erfolge und Inspirationsquellen wertzuschätzen.

Marjaana Gunkel ist Professorin und Dekanin an der Freien Universität Bozen in Italien. Sie hat den Lehrstuhl für Organisation und Führung inne. In ihrer Forschung beschäftigt sich Marjaana insbesondere mit Themen aus den Bereichen internationales Personalmanagement und organisationales Verhalten.

 
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